Journal des Stiftungsrechts
JdS 2025, 5
Besprechung von EuGH, Urt. v. 13.11.2025 – C-142/24
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EuGH, Urt. v. 13.11.2025 – C-142/24 (FG Köln, Beschl. v. 30.11.2023 – 7 K 217/21)
https://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=306140&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1
Tenor:
Art. 40 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum vom 2. Mai 1992 in der durch das Übereinkommen über die Beteiligung der Republik Bulgarien und Rumäniens am Europäischen Wirtschaftsraum geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er vorbehaltlich der Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, nach der für die Besteuerung des Übergangs von Vermögen auf eine Familienstiftung das Verwandtschaftsverhältnis des nach der Stiftungsurkunde entferntest Berechtigten zum Stifter nur bei inländischen, einer Ersatzerbschaftsteuer unterliegenden Stiftungen berücksichtigt wird, mit der Folge, dass auf diese Stiftungen eine günstigere Steuerklasse angewandt wird als auf ausländische Familienstiftungen, die dieser Steuer nicht unterliegen.
– Besteuerung nach Leistungsfähigkeit,
– Kohärenz des Steuersystems,
– Aufteilung der Besteuerungsrechte,
– Verhinderung der Steuerumgehung,
– Verhinderung der doppelten Verlustberücksichtigung und
– wirksame Kontrolle und Erhebung von Steuern
(vgl. Europäisches Steuerrecht/Musil, 2. Aufl., 2022, Art. 63 AEUV, Rn. 135 ff.).
4. II. Der der Entscheidung zugrundeliegende Sachverhalt ist dabei schnell erzählt:
Die Klägerin des finanzgerichtlichen Verfahrens ist eine rechtsfähige Familienstiftung mit Sitz und Geschäftsleitung im Fürstentum Liechtenstein. Sie wurde im Jahr 2014 nach liechtensteinischem Recht in Liechtenstein errichtet. Die Stifterin wohnt in Deutschland und hatte auch zum Zeitpunkt der Errichtung der Stiftung ihren Wohnsitz in Deutschland. Zweck der Stiftung ist laut der Stiftungssatzung die Förderung und Unterstützung der gemeinsamen Abkömmlinge der Stifterin und ihres verstorbenen Ehegatten. Ermessensbegünstigte der Stiftung (Destinatäre) sind die Stifterin sowie die mit der Stifterin in gerader absteigender Linie verwandten Abkömmlinge im Rahmen der Generationennachfolge. Dabei handelte es sich um die Kinder der Stifterin sowie wiederum deren Kinder. Die Stifterin stattete die Stiftung im Zuge der Errichtung mit einem geringen Stiftungsvermögen aus. Nach den einschlägigen Regelungen in § 5 Abs. 1 der Stiftungssatzung konnte die Stiftung über das ihr übertragene Vermögen frei verfügen. Der Stifterin waren nach den getroffenen Vereinbarungen und Regelungen keine Herrschaftsbefugnisse über das Vermögen der Stiftung vorbehalten. Der Stifterin wurden in der Stiftungssatzung und den ergänzenden Regelungen insbes. auch keine Entscheidungsbefugnisse in Bezug auf die Anlage und Verwendung des Vermögens eingeräumt. Sie hatte auch keine Möglichkeit, ganz oder teilweise die Rückübertragung des Vermögens zu verlangen. Die Stiftung war der Stifterin gegenüber insoweit keinerlei Weisungen unterworfen. Zudem regelte die Stiftungssatzung ausdrücklich, dass auch Satzungsänderungen in keinem Fall dazu führen dürfen, dass das Stiftungsvermögen der Verfügungsmacht der Stifterin rechtlich oder tatsächlich nicht mehr entzogen ist.
5. Das beklagte Finanzamt setzte mit Bescheid v. 22.11.2018 die Schenkungsteuer ohne Berücksichtigung des Steuerklassenprivilegs fest. Es wandte die Steuerklasse III an.
6. III. Im Rahmen des Vorlageverfahrens konnte der EuGH in der Beschränkung des Steuerklassenprivilegs deutschen Rechts auf inländische Familienstiftungen keinen Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit erkennen.
7. Als einschlägige Grundfreiheit identifizierte der EuGH zunächst nicht die Niederlassungsfreiheit (Art. 31 EWR-Abkommen), wie von der deutschen Regierung vorgetragen. Die Abgrenzung zwischen beiden Grundfreiheiten erfolge anhand des Gegenstands der betroffenen nationalen Regelung (Rn. 36 des Urteils). Da es sich hier um die Erstausstattung der Stiftung und damit um eine Schenkung handele, war demnach die Kapitalverkehrsfreiheit anzuwenden (Rn. 39). Dies gelte auch insoweit, als die Erbersatzsteuer in Frage stehe (Rn. 41).
8. Die Beschränkung der Grundfreiheit folge aus der Wertminderung der übertragenen Vermögensgegenstände aufgrund der unterschiedlichen Behandlung ausländischer und inländischer Stiftungen und den aufgrund der unterschiedlichen Besteuerung folgenden Liquiditätsnachteilen dieser Stiftungen (Rn. 48, 49 des Urteils). Auch die objektive Vergleichbarkeit beider Sachverhalte konnte der EuGH bejahen (Rn. 63).
9. Jedoch war die Beschränkung durch die Kohärenz des nationalen (deutschen) Steuersystems gerechtfertigt. Die deutsche Regierung konnte den EuGH hier vom unmittelbaren Zusammenhang zwischen dem steuerlichen Vorteil des Steuerklassenprivilegs und der steuerlichen Belastung durch die Erbersatzsteuer überzeugen. Der EuGH spricht hier von einer „spiegelbildlichen Logik“ (Rn. 70), die durchbrochen würde, wenn sich auch ausländische Familienstiftungen, die keiner Erbersatzsteuer unterliegen, auf das Steuerklassenprivileg berufen könnten.
10. Im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit (Zielsetzung, Eignung, Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit i.e.S) konnte sich der EuGH (Rn. 73 ff.) auf allgemeinere Ausführungen beschränken, da deren Prüfung letztlich Sache des vorlegenden nationalen Gerichts als Tatsacheninstanz sei. Gleichwohl machte der EuGH hier klar, dass nach seiner Aktenlage auch die Verhältnismäßigkeit gewahrt sei.
11. IV. Diese Entscheidung mag für manche überraschend gewesen sein, positionierten sich doch viele Autoren im Lager der Befürworter der Europarechtswidrigkeit der Regelung (vgl. z.B. DStRE 2024, 534 mAnm Morawitz). Für die Praxis bringt die Entscheidung jetzt jedoch Rechtssicherheit und wichtige dogmatische Ausführungen zum Rechtfertigungsgrund der „Kohärenz des Steuersystems“, insbesondere zum Unmittelbarkeitserfordernis.
12. Für Stifter lässt sich nunmehr folgendes Normgefüge für ausländische Stiftungen aus deutscher erbschaftsteuerlicher Sicht feststellen:
| Sachverhalt | ErbSt |
| Dotation |
§§ 3 Abs. 2 Nr. 1 / 7 Abs. 1 Nr. 8 ErbStG, ggfs. i.V.m. §§ 13a ff., 28a ErbStG. Kein § 15 Abs. 2 S. 1 ErbStG (Steuerklassenprivileg). |
|
Lfd. Besteuerung der Stiftung |
Kein § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG (Erbersatzsteuer) (aber: § 10 AO-Risiko). |
| Ausschüttung der Erträge | § 7 Abs. 1 Nr. 1 nur bei eindeutigen Satzungsverstoß (satzungswidrige Leistung). I.Ü. § 7 Abs. 1 Nr. 9 S. 2 bei „Zwischenberechtigten“ (Doppelbesteuerungsrisiko ESt + ErbSt). |
| Ausschüttung der Substanz | wie oben. |
| Auflösung | § 7 Abs. 1 Nr. 9 ErbStG (Doppelbesteuerungsrisiko ESt + ErbSt). |
Becker JdS 2025, 5 Rn. 1-12

