Umsatzsteuer für Reitunterricht? – „Ponygruppe” ja, „Große Pferdegruppe” nein
BFH, Urt. v. 22.1.2025 – XI R 9/22 (FG Schleswig-Holstein, Urt. v. 2.3.2022 – 4 K 114/17)
Amtliche Leitsätze:
- Erbringt ein Unternehmer neben Reitunterricht zusätzliche Leistungen wie Unterkunft und Verpflegung, liegen umsatzsteuerrechtlich regelmäßig selbständige Hauptleistungen vor.
- Unterricht im Pferdesport ist kein Schul- oder Hochschulunterricht und dient typischerweise der Freizeitgestaltung. Allerdings kann er in begründeten Ausnahmefällen der Ausbildung, Fortbildung oder beruflichen Umschulung dienen.
- § 4 Nr. 23 des Umsatzsteuergesetzes a.F. verlangt in unionsrechtskonformer Auslegung eine anerkannte Einrichtung mit im Wesentlichen sozialem Charakter (Anschluss an das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 6.7.2006 – IX ZR 88/02).
Zur Einsichtnahme von Dritten in Registerakten
KG, Beschl. v. 25.2.2025 – 22 W 66/24 (AG Berlin-Charlottenburg – 95 VR 20254)
Amtliche Leitsätze:
- Über einen Antrag auf Einsicht in Vereinsregisterakten, der nicht nur auf die für jedermann einsehbaren Unterlagen nach § 79 Abs. 1, 66 BGB beziehen, sondern auch den sonstigen Schriftverkehr betreffen, ist im Verfahren nach § 23 EGGVG zu entscheiden.
- Derjenige, der ein Löschungsverfahren nach § 395 FamFG anregt, wird dadurch nicht zwingend zu einem formell Beteiligten iSd § 6 FamFG.
- Eine journalistische Tätigkeit ist durch Art. 5 Abs. 1 GG besonders geschützt. Dieser Schutz umfasst auch die Informationsbeschaffung. Er darf allerdings nicht nur vorgeschoben sein.
Rechtswidriges Aufenthaltsverbot für Fußball-Fan
LAG Hamm, Urt. v. 28.1.2025 – 17 SLa 369/24
Redaktionelle Leitsätze:
- Eine Maßnahme nach § 34 Abs. 2 PolG NRW setzt die hinreichende Wahrscheinlichkeit voraus, dass die Person in dem betroffenen örtlichen Bereich eine Straftat begehen bzw. zu ihrer Begehung beitragen wird. Soll für ein Fußballspiel ein befristetes Betretungs- und Aufenthaltsverbot ausgesprochen werden, ist die Gefahrenprognose für das konkrete Spiel anzustellen. Die Gefahrenprognose trägt eine Maßnahme nach § 34 Abs. 2 PolG NRW nicht, wenn der Adressat der Maßnahme Straftaten begangen bzw. zu ihrer Begehung beigetragen hat, diese aber in einem engen Zusammenhang mit äußeren Umständen standen und diese Umstände im konkreten Fall nicht wiederzufinden sind.
- Hat der Maßnahmenadressat zwar Straftaten zu Lasten der Mitglieder von „verfeindenden“ Fangemeinden anlässlich von Spielbegegnungen begangen, ist das Betretungs- und Aufenthaltsverbot aber für ein Spiel eines nicht „verfeindeten“ Clubs ergangen, kann eine hinreichende Wahrscheinlichkeit wie von § 34 Abs. 2 PolG NRW verlangt nicht festgestellt werden.
- Ein Aufenthaltsverbot muss sich, um angemessen zu sein, auf solche Bereiche beschränken, in denen Fanmärsche, Zusammentreffen und andere Aktivitäten von Fußballfans im Vorfeld oder nach Beendigung des Spiels regelmäßig stattfinden. Eine Verfügung, wonach das „Aufenthaltsverbot für den Bereich der Stadt W.“ gilt, ist in räumlicher Hinsicht unverhältnismäßig.
- Ein Betretungs- und Aufenthaltsverbot mit einem Zeitraum von 5,5 Stunden vor Spielbeginn und 2,75 Stunden nach Spielbeginn ist unangemessen. Lediglich bei sogenannten Hochrisikospielen dürfte ein Betretungs- und Aufenthaltsverbot von sechs Stunden vor Spielbeginn bis sechs Stunden nach Spielschluss nicht unverhältnismäßig sein.
Steuerbefreiung von Beförderungsleistungen durch Behindertenwerkstatt mittels organisierten Fahrdienst
FG Münster, Urt. v. 13.3.2025 – 5 K 894/22 U
Redaktioneller Leitsatz:
Erbrachte Beförderungsleistungen einer Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM), konkret die Hin- und Rückfahrt der Beschäftigten, sind als Bestandteil einer einheitlichen Förderungs- und Betreuungsleistung der WfbM gegenüber ihren Beschäftigten gemäß § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. f. UStG steuerfrei. Bei den Beförderungsleistungen handelt es sich um eine eng verbundene Nebenleistung zu der Betreuungsleistung, welche die WfbM gegenüber ihren Beschäftigten erbringt. Nebenleistung und Betreuungsleistung stellen im konkreten Fall eine einheitliche Leistung dar.
Zur Rechtaufsicht des Staats über Genossenschaften
VGH Mannheim, Beschl. v. 24.4.2025 – 6 S 2134/22 (VG Stuttgart, Urt. v. 5.5.2022 – 4 K 3013/19)
Amtliche Leitsätze:
- Eine ordnungsgemäße Anhörung gemäß § 28 Abs. 1 LVwVfG erfordert, dass der beabsichtigte Verwaltungsakt nach Art und Inhalt so konkret umschrieben wird, dass für den Betroffenen hinreichend erkennbar ist, weshalb und wozu er sich äußern können soll und mit welcher eingreifenden Entscheidung er zu rechnen hat.
- Die Staatsaufsicht nach § 64 GenG ist eine reine Rechtsaufsicht, die sich auf die Überprüfung der formellen und der materiellen Rechtmäßigkeit der Tätigkeit eines Prüfungsverbandes bei der Planung, Ausgestaltung und Durchführung von den nach dem Genossenschaftsgesetz vorgesehenen Prüfungen bei eingetragenen Genossenschaften erstreckt. Dies umfasst auch die Kontrolle der Einhaltung anerkannter berufliche Prüfungsstandards, die als selbstgesetztes Recht die Berufsauffassung kodifizieren und die rechtlichen und wirtschaftlichen Grundlagen der Prüfung näher bestimmen.
- § 64 Abs. 1 und 2 GenG lässt sich im Wege der Auslegung eine Befugnis de Aufsichtsbehörde zum Erlass eines feststellenden Verwaltungsakts in Gestalt eine Beanstandungsverfügung entnehmen.
Non-Profit´s und das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb
LG Berlin II, Urt.v. 13.5.2025 – 15 O 397/24
Redaktioneller Orientierungssatz:
Auch Non-Profit-Organisationen und insbesondere eingetragene Vereine und Interessenverbände von Freiberuflern können sich auf das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb stützen.
Zur Aufhebung einer Betriebserlaubnis einer Kindertageseinrichtung
VG Dresden, Urt.v. 14.5.2025 – 1 K 2372/23
Amtliche Leitsätze:
- Die Aufhebung der Betriebserlaubnis einer Kindertageseinrichtung kann als gebundene Aufhebung nach § 45 Abs. 7 Satz 1 SGB VIII oder als Ermessensaufhebung nach § 45 Abs. 7 Satz 2 SGB VIII erfolgen. Dabei setzt die gebundene Aufhebung eine Kindeswohlgefährdung voraus. Es genügt insofern nicht, allein auf die Nichtgewährleistung des Kindeswohls (§45 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII) oder das Fehlen eines Gewährleistungskriteriums (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB VIII) abzustellen. Die Nichtgewährleistung des Kindeswohls in einer Einrichtung ermächtigt die zuständige Behörde schließlich nur zu einer Ermessensaufhebung nach § 45 Abs. 7 Satz 2 SGB VIII. Vielmehr muss sie auch ermitteln und begründen, dass sich dieser Mangel zu einer Kindeswohlgefährdung verdichtet hat.
- Das Gewährleistungskriterium des § 45 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SGB VIII, die für den Betrieb der Einrichtung erforderliche Zuverlässigkeit, ist im Hinblick auf den erlaubnispflichtigen Betrieb einer bestimmten Einrichtung zu prüfen. Der Zuverlässigkeitsmangel muss daher die Gewährleistung des Kindeswohls in der Einrichtung infrage stellen.
- Eine der Sache nach auf der Unzuverlässigkeit eines Trägers beruhende Kindeswohlgefährdung kann sich daraus herleiten, dass aufgrund objektiver Anhaltspunkte wesentliche Zweifel daran bestehen, dass der Träger einer Kindertagesstätte die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland umfassend anerkennt (vgl. VG Mainz, Beschluss vom 22. März 2019 –1 L 96/19.MZ –, BeckRS 2019, 37). Auch in diesem Fall muss die Aufhebung der Betriebserlaubnis aber das letzte Mittel sein, um die Kindeswohlgefährdung abzustellen. Die zuständige Behörde muss daher insbesondere den Erlass von Auflagen als milderes Mittel prüfen.
- Weder aus der Aufnahme einer Kindertageseinrichtung in den Bedarfsplan noch aus dem allein gegen den Träger der öffentlichen Jugendhilfe gerichteten Wunsch- und Wahlrecht der Eltern folgt für einen privaten Träger ein der Rechts- und Grundrechtsbindung des Staates entsprechendes oder mit ihr vergleichbares Diskriminierungsverbot.
- Der Ausschluss von Kindern von Polizisten aus der Betreuung in einem Kindergarten sowie ein dazu erteiltes Hausverbot gegen den als Polizisten arbeitenden Elternteil kann daher gerechtfertigt sein, wenn der Träger diese Ungleichbehandlung tragfähig damit begründen kann, dass die Anwesenheit von Polizisten dem sozialpädagogischen Konzept seiner auf demselben Gelände stattfindenden Jugendarbeit und deren Bedürfnis nach einem „Schutzraum“ für die betreuten Jugendlichen zuwiderläuft.
Kein presserechtlicher Unterlassungsanspruch eines gemeinnützigen Unternehmens
LG Berlin II, Beschl. v. 27.5.2025 – 27 O 164/25 eV
Amtliche Leitsätze:
- Kein presserechtlicher Unterlassungsanspruch eines gemeinnützigen Unternehmens gegen die in einem Artikel über eine angeblich zunehmende staatliche Bedrohung der Meinungsfreiheit enthaltene Äußerung, das Unternehmen helfe vor allem linken Politikern dabei, gegen Äußerungen von Bürgern vorzugehen und Präzedenzfälle zu schaffen.
- Zur (Un-)Anwendbarkeit der sog. „Stolpe-Rechtsprechung“ auf mehrdeutige Meinungsäußerungen bei der Geltendmachung einer Verletzung des Unternehmenspersönlichkeitsrechts.