Kernbereich von Glaubensleben kann zulässiger Sachgrund für Befristung eines Arbeitsvertrages darstellen
BAG, Urt. v. 7.2.2024 – 7 AZR 367/22 (LAG München, Urt. v. 29.7.2022 – 1 Sa 681/21; ArbG München, Teilurt. v. 29.7.2021 – 17 Ca 12472/20)
Orientierungssätze der Richterinnen und Richter des BAG:
- Nach § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 TzBfG liegt ein sachlicher Grund für die Zulässigkeit der Befristung eines Arbeitsvertrags vor, wenn die Eigenart der Arbeitsleistung die Befristung rechtfertigt. Nach dem verlautbarten Willen des Gesetzgebers soll mit diesem Sachgrund vor allem verfassungsrechtlichen Besonderheiten Rechnung getragen wer-den (Rn. 16).
- Die Eigenart der Arbeitsleistung eines verkündigungsnah tätigen Arbeitnehmers für eine religiöse Gemeinde kann ein sachlicher Grund iSd. § 14 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 TzBfG für die Befristung des Arbeitsvertrags sein (Rn. 17), wobei stets eine einzelfall-bezogene Abwägung zwischen den durch Art. 4 Abs. 1 und Abs. 2 GG geschützten Belangen des Arbeitgebers und dem durch Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten Interesse des Arbeitnehmers an einer dauerhaften Beschäftigung vorzunehmen ist (Rn. 30).
- Die Prüfung des Vorliegens eines sachlichen Grundes iSd. § 14 Abs. 1 TzBfG durch das Landesarbeitsgericht unterliegt nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Revisionsgericht. Die tatrichterliche Interessenabwägung ist vom Bundesarbeitsgericht nur darauf zu überprüfen, ob das Landesarbeitsgericht Rechtsbegriffe verkannt, Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze verletzt oder wesentliche Umstände nicht berücksichtigt hat und ob die vorgenommene Würdigung in sich widerspruchsfrei ist (Rn. 25).
Eigentums- und Besitzverhältnis an einer Bundeslade
LAG Hessen, Urt. v. 19.2.2024 – 16 Sa 670/23 (ArbG Frankfurt aM., Urt. v. 11.4.2023 – 23 Ca 454/23)
Amtlicher Leitsatz:
Zu den Eigentums- und Besitzverhältnissen an einer Bundeslade der eritreisch-orthodoxen Tewahdo-Kirche.
Redaktionelle Leitsätze:
- Das Eigentums- bzw. Besitzverhältnis an einer Bundeslade bestimmt sich nach dem autonomen Kirchenrecht, das sich die Eritreische orthodoxe Tewahedo Kirche gegeben hat (Art. GG Artikel 140 GG iVm. Art. 137 WRV).
- Es steht geschrieben in § 46 a) Kanon Recht der orthodox Tewahdo Kirche (Abteilung für Eigentum und historische Relikte und Denkmäler), dass die heilige Bundeslade das rechtliche Eigentum der Kirche ist (erste und höchste Eigentum). Mit „Kirche“ ist die eritreisch-orthodoxe Kirche, nicht die Ortsgemeinde und auch nicht deren privatrechtlicher Trägerverein gemeint, die organisatorisch in die Kirchenstruktur eingebunden und weisungsabhängig sind. Danach hat Eigentum an sakralen Gegenständen nur die Kirche, auch wenn die einzelne Gemeinde zur besseren Teilnahme am Rechtsverkehr als eigenständige jur. Person organisiert ist. Übergibt der Bischof von Europa eine Bundeslade an einen Pfarrer, die zur Durchführung des Gottesdienstes notwendig ist, stellt dies weder eine Eigentumsübergabe an die Gemeinde oder den Pfarrer dar.
- Eine Gemeinde bzw. deren Pfarrer erlangt auch keinen Besitz iSd. § 854 Abs. 1 BGB an der Bundeslade, wenn der Zugriff auf die Bundeslade lediglich zur Durchführung des Gottesdienstes erfolgt, bei dem die Bundeslade von den Gläubigen nicht berührt werden darf.
Anwendung der DSGVO im Bereich der Steuerverwaltung, Voraussetzungen und Reichweite des Auskunftsanspruchs nach Art. 15 DSGVO
BFH, Urt. v. 12.3.2024 – IX R 35/21 (FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 27.10.2021 – 16 K 5148/20)
Amtliche Leitsätze:
- Die Verarbeitung personenbezogener Daten durch die Finanzverwaltung unterfällt dem Anwendungsbereich der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Auf eine Differenzierung nach der Art der Aktenführung, der Art der Dokumente oder der Form der Bearbeitung kommt es nicht an.
- Art. 2 Abs. 2 Buchst. a DSGVO beschränkt die Anwendung der Datenschutz-Grundverordnung nicht auf den Bereich der harmonisierten Steuern.
- Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO gewährt keinen gegenüber Art. 15 Abs. 1 DSGVO eigenständigen Anspruch gegenüber dem Verantwortlichen auf Zurverfügungstellung von Dokumenten mit personenbezogenen Daten.
- Nur wenn eine Kopie von Dokumenten unerlässlich ist, um der betroffenen Person die wirksame Ausübung der ihr durch die Datenschutz-Grundverordnung verliehenen Rechte zu ermöglichen, besteht nach Art. 15 Abs. 3 Satz 1 DSGVO ein Anspruch darauf, eine Kopie von Auszügen aus Dokumenten oder gar von ganzen Dokumenten oder auch von Auszügen aus Datenbanken, die unter anderem diese Daten enthalten, zur Verfügung gestellt zu bekommen.
- Ein Ausschluss des Auskunftsrechts nach Art. 12 Abs. 5 Satz 2 DSGVO kommt nur in Betracht, wenn sich der Verantwortliche hierauf beruft und darlegt, dass ein offenkundig unbegründeter oder exzessiver Antrag vorliegt.
Keine Kostenhaftung eines unerkannt Geschäftsunfähigen gegenüber einem Notar
KG, Beschl. v. 19.3.2024 – 9 W 59/22 (vorangegangen: LG Berlin, Beschl. v. 8.6.2022 – 80 OH 153/21; nachfolgend: KG, Berichtigungsbeschl. v. 24.4.2024 – 9 W 59/22; anhängig: BGH – III ZB 30/24)
Amtlicher Leitsatz:
Eine Kostenhaftung des unerkannt Geschäftsunfähigen gegenüber einem Notar scheidet in entsprechender Anwendung der Schutzvorschriften der §§ 104 ff. BGB auch dann aus, wenn der Notar zu seinem Tätigwerden gemäß § 15 BNotO verpflichtet ist.
Ehrenamtsvergütung kann sozialversicherungspflichtig sein – Der DAV-Fall
SG Berlin, Urt. v. 18.4.2024 – S 210 BA 196/20
Redaktionelle Leitsätze:
- Nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB IV ist Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (§ 7 Abs. 1 S. 2 SGB IV). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) setzt eine Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann eingeschränkt und zur „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Tätigkeit und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Ob eine wertende Zuordnung zum Typus der Beschäftigung gerechtfertigt ist, ergibt sich aus dem Vertragsverhältnis der Beteiligten, so wie es im Rahmen des rechtlich Zulässigen tatsächlich vollzogen worden ist. Die jeweilige Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung bzw. selbstständigen Tätigkeit setzt dabei voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, das heißt den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei, gegeneinander abgewogen werden (st. Rspr., z.B. BSG, Urteil vom 11.11.2015, – B 12 KR 13/14 R = BSGE 120, 59-69 und juris, Rn. 18, mit zahlreichen weiteren Nennungen zur Rspr.).
- Tätigkeiten eines Organwalters, die darauf ausgerichtet sind, (auch) zusammen mit weiteren Präsidiums- und Vorstandsmitgliedern den Vereinszweck zu fördern und zu verwirklichen, können das Merkmal der „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ erfüllen. Besonders deutlich wird die Förderung des Vereinszwecks mit der Wahrnehmung des Amts des Schatzmeisters, denn ohne eine gesicherte wirtschaftliche Grundlage und geordnete Finanzen wäre der Vereinszweck nicht zu realisieren.
- Eine Weisungsunterworfenheit kann angenommen werden, wenn eine rechtliche Bindung an die Beschlüsse des Vorstands und des Präsidiums sowie ggf. der Mitgliederversammlung besteht. Ob tatsächlich Weisungen erteilt wurden oder werden, ist nicht von Belang.
- Dass eine konkrete örtliche und zeitliche Weisungsgebundenheit hinsichtlich der Ausübung der Tätigkeit nicht gegeben ist, spricht nicht gegen eine Beschäftigung iSd. § 7 Abs. 1 SGB IV, wenn die Tätigkeit dem Bereich der höheren Dienstleistungen zuzuordnen ist, zumal solche Dienstleistungen mittels „remote work“ mittlerweile im Allgemeinen völlig ortsungebunden und kaum abhängig von festen Arbeitszeiten erbracht werden können.
- Das Fehlen eines gesonderten (schriftlichen) Dienstvertrags hat für die sozialversicherungsrechtliche Einordnung keine Bedeutung.
- Zahlungen, die zwar als „Aufwendungsersatz“ bezeichnet werden, aber pauschal und für die Aufwendung von zeitlicher Beanspruchung – und damit dafür, dass während der Ausübung des Vorstandsamts die Arbeitskraft nicht im eigenen Beruf eingesetzt werden kann – gezahlt werden, sind zivilrechtlich als Entlohnung einzuordnen. Hiervon kann auch ausgegangen werden, wenn neben dem pauschalen Aufwendungsersatz weiterer Aufwendungsersatz, etwa für Reisekosten, gleistet wird.
- In einer gesamtsystematischen Betrachtung mit § 31a Abs. 1 S. 1 BGB, § 3 Nr. 26 EStG, § 4 Nr. 26 Bst. b) UstG unter Beachtung des Rundschreibens des Bundesministeriums der Finanzen vom 27.3.2013 (BStBl. I, S. 452) und § 2 Abs. 1 des Gesetzes über die Entschädigung der Mitglieder der Bezirksverordnetenversammlungen, der Bürgerdeputierten und sonstiger ehrenamtlich tätiger Personen iVm. er Bekanntmachung über die Anpassung von Leistungen an Abgeordnete nach dem Landesabgeordnetengesetz vom 25.11.2022 (GVBl. S. 664) ist eine jährliche Zuwendungen von 18.000,- € bzw. 48.000,- € auch nicht evident dafür, dass lediglich eine ehrenamtliche Entschädigung „honoris causa“ oder zum Ausgleich von Beschwernissen und Einbußen gezahlt werden würde.
Feier des Arbeitgebers anlässlich einer Arbeitnehmer-Verabschiedung kann Betriebsveranstaltung sein
FG Niedersachsen, Urt. v. 23.4.2024 – 8 K 66/22 (Revision zugelassen)
Redaktionelle Leitsätze:
- Arbeitslohn iSd. § 42d Abs. 1 EstG ist eine objektive Bereicherung beim Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber für das Zurverfügungstellen individuellen Arbeitskraft. Eine objektive Bereicherung des Arbeitnehmers ist nicht gegeben, wenn eine Bewirtung von Gästen anlässlich eines Festes des Arbeitgebers erfolgt, auch wenn der Anlass des Festes aus dem Bereich des Arbeitnehmers stammt. Ob ein Empfang, den ein Arbeitgeber beispielsweise anlässlich eines besonderen Ereignisses eines seiner Mitarbeiter ausrichtet, als Fest des Arbeitgebers oder als das des Arbeitnehmers erscheint, ist nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (BFH-Urteil v. 28.1.2003 – VIR4899 VI R 48/99 = BStBl II 2003, 724) unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu entscheiden.
- Werden etwa die Einladungskarten vom Arbeitgeber entworfen und bestimmt dieser, wer eingeladen wird, wobei die Gästeliste nach geschäftsbezogenen Gesichtspunkten erstellt worden ist, stellt sich der Arbeitgeber als Gastgeber dar. Dieses Ergebnis wird nicht dadurch in Frage gestellt, indem dem Arbeitnehmer in geringfügigem Umfang erlaubt wird, eigene Vorschläge für die Gästeliste einzubringen, wie beispielsweise enge Familienangehörige. Der auf persönliche Gäste des Arbeitnehmers entfallende Kostenanteil ist jedoch gem. § 37b Abs. 2 EStG pauschal mit 30 vH. der aufgewendeten Kosten zu versteuern.
- R 19.3 Abs. 2 Nr. 3 Lohnsteuer-Richtlinie ist in sich widersprüchlich und steht mit den Grundsätzen des BFH-Urteils 28.1.2003 – VIR4899 VI R 48/99 = BStBl II 2003, 724 nicht in Einklang. Der dort vertretenen Auffassung folgt der Senat nicht.
Widerruf einer Waffenbesitzkarte infolge der Kandidatur für die und der Mitgliedschaft in der DKP
VG Darmstadt, Beschl. v. 2.5.2024 – 5 L 2819/23.DA
Amtliche Leitsätze:
- Zur Auslegung kritischer Äußerungen zu staatlichen Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie sowie zur medialen Berichterstattung hierüber mit Blick auf eine waffenrechtliche Unzuverlässigkeit des Betroffenen nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 lit. a) WaffG (hier: verneint).
- Es spricht viel dafür, dass § 5 Abs 2 Nr. 3 lit. b) WaffG auch verfassungsfeindliche Parteien umfasst, deren Verfassungswidrigkeit noch nicht durch das Bundesverfassungsgericht festgestellt worden ist; das verfassungsrechtliche Parteienprivileg aus Art. 21 Abs. 2 und Abs. 4 GG dürfte einer entsprechenden Gesetzesauslegung nicht entgegenstehen (hier: offengelassen).
- Eine verfassungsfeindliche Partei unterstützt im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 3 lit. c) WaffG, wer für diese – auch erfolglos – bei Wahlen kandidiert.
- Die sich aus der Mitgliedschaft in oder aus der Unterstützung einer verfassungsfeindlichen Partei ergebende, generalisierende Annahme der waffenrechtlichen Regelunzuverlässigkeit des Betroffenen kann durch sein tatsächliches Verhalten im konkreten Einzelfall ausnahmsweise ausgeräumt sein.
- Dies ist jedenfalls bei einem langjährigen ehrenamtlichen Stadtrat der Fall, welcher seitens des Landes Hessen mittels eines Landesehrenbriefes für sein kommunalpolitisches Engagement geehrt wurde. Sowohl die Betätigung als kommunaler Wahlehrenbeamter wie auch die Verleihung des Landesehrenbriefs setzen die Verfassungstreue des Einzelnen sowie sein Eintreten für demokratische Werte voraus.
Gemeinnützige Tätigkeit ist keine geschäftliche Handlung iSd. UWG
BGH, Urt. v. 2.5.2024 – I ZR 12/23 (OLG Hamm, Urt. v. 24.1.2023 – 4 U 131/22; LG Essen v. 6.5.2022 – 45 O 14/21)
Amtliche Leitsätze:
- Jedenfalls bei einer Verletzung vertraglicher Rücksichtnahmepflichten im Sinne des § 241 Abs. 2 BGB, durch die die Erreichung des Vertragszwecks bedroht wird, kann aus § 280 Abs. 1 BGB nicht nur Schadensersatz, sondern im Falle des Bestehens einer Erstbegehungs- oder Wiederholungsgefahr auch Unterlassung verlangt werden (Fortführung von BGH, Urteil vom 12. Januar 1995 – III ZR 136/93, NJW 1995, 1284 [juris Rn. 22 f.]; Urteil vom 5. Juni 2012 – X ZR 161/11, MDR 2012, 1224 [juris Rn. 15 f.]).
- Eine ausschließlich mildtätige und/oder gemeinnützige Tätigkeit, mit der keine erwerbswirtschaftlichen Ziele verfolgt werden und die nicht auf die Erbringung einer entgeltlichen oder auf dem Markt ansonsten gegen Entgelt angebotenen Leistung gerichtet ist, ist grundsätzlich nicht als geschäftliche Handlung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 2 UWG anzusehen (Fortführung von BGH, Urteil vom 20. Oktober 1983 – I ZR 130/81, GRUR 1984, 283 [juris Rn. 13] = WRP 1984, 258 – Erbenberatung).
Korrektur bestandskräftiger Bescheide nach Außenprüfung
BFH, Urt. v. 6.5.2024 – III R 14/22 (FG Niedersachsen, Urt. v. 21.8.2020 – 3 K 208/18)
Amtlicher Leitsatz:
Die Art und Weise, in der der Steuerpflichtige seine Aufzeichnungen geführt hat, ist eine Tatsache im Sinne des § 173 Abs. 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO). Dies gilt im Fall der Einnahmenüberschussrechnung nicht nur für Aufzeichnungen über den Wareneingang gemäß § 143 AO, sondern ebenso für sonstige Aufzeichnungen und die übrige Belegsammlung.
Finanzamt muss die Finanzgerichtsordnung kennen
BFH, Beschl. v. 15.5.2024 – VII R 26/22 (FG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 23.6.2022 – 13 K 8105/21)
Amtliche Leitsätze:
- NV: Ein Hinweis auf die für bestimmte Vertretungsberechtigte geltende Verpflichtung, ein Rechtsmittel und dessen Begründung an den Bundesfinanzhof (BFH) ausschließlich als elektronisches Dokument zu übermitteln (§ 52d der Finanzgerichtsordnung – FGO –), zählt nicht zu den zwingend vorgeschriebenen Angaben einer Rechtsbehelfsbelehrung (Anschluss an BFH-Beschluss vom 02.02.2024 – VI B 13/23).
- NV: Die Angabe der Hausanschrift des BFH sowie dessen Postanschrift und Telefax-Anschluss mit dem Hinweis, dass Rechtsmittel auch über den elektronischen Gerichtsbriefkasten des BFH eingelegt und begründet werden können, kann ein fachkundiger Beteiligter nicht dahin verstehen, dass er das Rechtsmittel abweichend von den gesetzlichen Anforderungen des § 52d FGO auch postalisch oder per Telefax beim BFH einlegen und begründen darf.
Deutscher Handball-Bund muss Lizenzunterlagen eines Ligisten nicht an anderen Ligisten herausgeben (HSV)
OLG Hamm, Beschl. v. 16.5.2024 – 8 W 9/24 (LG Dortmund, Beschl. v. 2.5.2024 – 1 O 97/24)
Redaktioneller Hinweis:
Ist der ordentliche Rechtsweg wirksam durch eine Verbandsregelung ausgeschlossen, sind die verbandsinternen Verfahren und sodann die Mittel des vereinbarten Schiedsverfahrens zum Rechtschutz auszuschöpfen. Der ordentliche Rechtsweg kann grds. erst im Anschluss erfolgreich beschritten werden.
Spezieller Sportrollstuhl (WCMX) als Leistung zur sozialen Teilhabe
SG Mannheim, Urt. v. 22.5.2024 – S 9 SO 1473/23
Amtliche Leitsätze:
- Ein spezieller Sportrollstuhl, der aufgrund des Gesundheitszustandes nur unregelmäßig und zu nicht planbaren Zeiten jeweils nur für wenige Minuten ohne Einbindung in eine Vereinsstruktur oder in eine sonstige Trainingsgruppe genutzt werden kann bzw. soll, gehört nicht zu den Leistungen der Sozialen Teilhabe.
- Nach Abschluss einer Zielvereinbarung bezüglich einer Assistenzleistung im Rahmen der Sozialen Teilhabe besteht kein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf weitergehende Assistenzleistungen in der Form eines Persönlichen Budgets. Denn die Zielvereinbarung hat seit dem 1.1.2018 eine den Anspruch begrenzende materielle Bedeutung. Dem steht das Urteil des BSG vom 28.1.2021 (B 8 SO 9/19 R) nicht entgegen. Denn die Aussage, dass der Abschluss der Zielvereinbarung für das Persönliche Budget nur eine formelle Bedeutung habe, betrifft den Rechtszustand bis zum 31.12.2017, in dem sich die Notwendigkeit der Zielvereinbarung noch aus der Budgetverordnung ergab. Seit dem 1.1.2018 ist die Zielvereinbarung aber in § 29 Abs. 4 SGB IX verankert.
Zurechnung einer Versammlung zu einer verbotenen Vereinigung
VG Düsseldorf, Beschl. v. 24.5.2024 – 18 L 1285/24
Redaktioneller Leitsatz:
Meldet eine natürliche Person eine Versammlung im eigenen Namen an, hat die Person sich jedoch im Vorfeld mit einem mittlerweile vollziehbar verbotenen Verein öffentlich solidarisiert und diesen in verschiedenen Formen unterstützt, und bewirbt dieser Verein die Versammlung im Internet als seine Versammlung, kann die Versammlung dem Verein zugerechnet und gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 VersG NRW verboten werden.
Abwägung im Baurecht bei Freizeitanlage
OVG Münster, Urt. v. 27.5.2024 – 10 D 110/22.NE
Amtliche Leitsätze:
- Dient ein Angebotsbebauungsplan als planungsrechtliche Grundlage für ein konkret umrissenes Vorhaben, begegnet es grundsätzlich keinen durchgreifenden Bedenken, wenn der Rat vor allem dieses Vorhaben zur realitätsnahen Abschätzung der absehbar planbedingten Auswirkungen heranzieht (hier aus zwei Kleinspielfeldern für Fuß- und Basketball sowie drei Tischtennisplatten bestehende Multifunktionsanlage).
- Die Ermittlung und Beurteilung der planbedingten Lärmimmissionen erfolgte in der der Abwägung zugrunde liegenden schalltechnischen Untersuchung zutreffend auf Grundlage des Freizeitlärmerlasses NRW. Bei der Multifunktionsanlage handelt es sich um eine Einrichtung, die dazu bestimmt ist, von Personen zur Gestaltung ihrer Freizeit genutzt zu werden. Dass sie nach den Festsetzungen weiterhin auch im Schulbetrieb genutzt werden kann, rechtfertigt keine andere Betrachtung.
- Der Rat konnte die ordnungsgemäße Nutzung der Multifunktionsanlage seiner Abwägungsentscheidung zugrunde legen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass es bereits in der Vergangenheit zu einer missbräuchlichen Nutzung der Anlage gekommen ist.
- Es führt nicht zu einem Abwägungsmangel, dass der Rat die Festlegung der Nutzungszeiten der Multifunktionsanlage dem Genehmigungsverfahren überlassen hat.
Kein Aufnahmezwang für Vereine mit Monopolstellung – 1. Schach-Bundesliga
OLG Brandenburg, Urt. v. 28.5.2024 – 17 U 1/24 Kart (LG Frankfurt (Oder), Beschl. v. 18.10.2023 – 13 O 212/13; OLG Brandenburg, Beschl. v. 15.1.2024 – 17 Kart 1/23; LG Potsdam, Urt. v. 20.3.2024 – 2 O 41/24)
Redaktionelle Leitsätze:
- Auch einem Verein mit Monopolstellung darf auf der Einhaltung der satzungsmäßigen Aufnahmebedingungen bestehen, solange diese sachgerecht sind und es dem Bewerber möglich ist, die Aufnahmebedingung ohne unverhältnismäßige Opfer zu erfüllen.
- Der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ist nicht festzustellen. Denn die Nichtaufnahme eines die satzungsgemäßen Aufnahmebedingungen nicht erfüllenden Bewerbers durch einen Verband stellt, wenn die betreffenden Bedingungen nicht unsachgemäß und vom Bewerber ohne unverhältnismäßige Opfer erfüllbar sind, weder eine unbillige Behinderung noch eine sachlich nicht gerechtfertigt ungleiche Behandlung dar. So verhält es sich aus den dargelegten Gründen hier. Die Fragen, ob der Verfügungskläger Unternehmer (aufnahmesuchender Verein) und der Verfügungsbeklagte (aufnahmeverweigernde Verband) Normadressat von § 19 Abs. 1 oder § 20 Abs. 5 GWB ist, können daher dahingestellt bleiben.
Anwalt haftet für unnötige Notarkosten
LG Berlin II, Urt. v. 25.6.2024 – 67 O 30/24
Amtlicher Leitsatz:
Ein Rechtsanwalt, der vom Grundstückeigentümer mit der Prüfung des von einem Notar im Auftrag eines Kaufinteressenten erstellten und übersandten Grundstückkaufvertragsentwurfes beauftragt ist, handelt pflichtwidrig, wenn er Entwurfsänderungen unmittelbar an den Notar übermittelt, ohne seinen Mandanten zuvor für den Fall des späteren Scheiterns der Vertragsverhandlungen über die sich aus § 29 Nr. 1 GNotKG ergebenden Kostenrisiken und Möglichkeiten zur Kostenvermeidung aufgeklärt zu haben.
Hinweise zur Gesetzgebung
Mit Art. 13 des Jahressteuergesetzes wurde die „Wohngemeinnützigkeit“ in § 52 II S. 1 Nr. 27 AO aufgenommen (Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Jahressteuergesetz 2024, S. 51 f. und Begründung S. 185 f.; abrufbar unter https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Gesetzestexte/Gesetze_Gesetzesvorhaben/Abteilungen/Abteilung_IV/20_Legislaturperiode/2024-06-05-JStG-2024/2-Regierungsentwurf.pdf?__blob=publicationFile&v=8)