Aktuelle Rechtsprechung im Überblick
Juni 2024
Zusammengestellt von Benjamin Beyer
Sicherstellung im Vereinsrecht
VG Potsdam, Urt. v. 12.3.2024 – 3 K 2041/18
Redaktionelle Leitsätze:
- Der Vermögensbegriff des § 3 Abs. 1 Satz 2 VereinsG ist mit der hM. weit auszulegen. Danach ist das Vereinsvermögen im Interesse der Effektivität, der Gefahrenabwehr und insbesondere der Bekämpfung der Vermögenstarnung nicht im eigentumsrechtlichen, sondern im wirtschaftlichen Sinne und damit weit zu verstehen. Zum Vereinsvermögen gehören danach die Forderungen und Rechte, deren Inhaber der Verein ist, sowie die beweglichen und unbeweglichen Sachen, die im Eigentum des Vereins stehen oder die der Verein einem Dritten zu treuen Händen übertragen bzw. die ein Dritter als Treuhänder für den Verein erworben hat (vgl. § 10 Abs. 1 S. 3 und § 11 Abs. 1 S. 2 VereinsG). Darüber hinaus zählt die Gesamtheit der Vermögenswerte dazu, derer sich der Verein im wirtschaftlichen Sinne während seines Bestehens zur Erreichung seiner Zwecke tatsächlich bedient hat oder bedienen wollte und deren Einsatz im Wesentlichen von seinem Willen oder dem Willen der Vereinsführung abhing. Insoweit sind die Umstände des Einzelfalls maßgeblich. Bei Sachen kommt es in der Regel nicht auf das rechtliche Verhältnis, sondern auf das tatsächliche Herrschaftsverhältnis im Sinne eines Vereinsgewahrsams an.
- Ein Motorrad kann danach gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 iVm. § 3 Abs. 1 Satz 2 VereinsG auch von einem Vorstandsmitglied sichergestellt werden, wenn dieser Mitgewahrsam hat.
Anwendung nicht einheitlicher Verteilungskriterien ermessensfehlerhaft; Recht der Religionsgemeinschaften
VG Potsdam, Urt. v. 22.4.2024 – VG 3 K 1670/17
Redaktionelle Leitsätze:
- Unterschiedliche Förderkriterien durch den Staat zwischen religiösen Gemeinden bzw. Verbänden müssen gerechtfertigt sein. Konkurrieren mehrere religiöse Gemeinden um dasselbe Förderkontigent, so gilt, wenn eine oder mehrere Gemeinden den Verband wechseln, muss dies entweder bei beiden Verbänden bei der Vergabe der Fördermittel berücksichtigt werden oder bei keinem. Wird der Wechsel hingegen gleichheitswidrig bei einem Verband berücksichtigt und bei dem anderen nicht, überschreitet dies die Grenzen der Grundsätze der Neutralität und Parität und ist deshalb ermessensfehlerhaft.
- Dies ist auch dann der Fall, wenn sich der Förderträger vertraglich zu einer Förderung nach gewissen Kriterien oder zu einer bestimmten Höhe verpflichtet hat.
Grundrechsfähigkeit juristischer Personen
OLG Dresden, Beschl. v. 22.4.2024 – 4 U 1921/23 (LG Dresden, Urt. v. 3.11.2023 – 3 O 1000/23)
Amtliche Leitsätze:
- Eine juristische Person, die ihren Verwaltungssitz im Inland hat, kann sich auch dann auf eine Verletzung ihres Persönlichkeitsrechts berufen, wenn ihr Tätigkeitsschwerpunkt im Ausland liegt (hier: Seenotrettung im Mittelmehr).
- Das “Recht zum Gegenschlag” berechtigt nicht zu unwahren Tatsachenbehauptungen.
Aufstellung von Altkleidersammelcontainern
VG Aachen, Urt. v. 23.4.2024 – 10 K 223/23
Redaktionelle Leitsätze:
- Die Aufstellung von Altkleidersammelcontainern im öffentlichen Straßenraum ist als Sondernutzung gemäß § 18 Abs. 1 Satz 2 StrWG NRW erlaubnispflichtig. Der Behörde steht dabei ein Ermessen zu.
- Der Kommune steht nach § 18 Abs. 1 Satz 2 StrWG NRW ein Ermessen zu, das sie zur Bewirkung einer gleichmäßigen Handhabung durch die Straßenbaubehörde auch generell ausüben kann, etwa durch den Erlass ermessenslenkender Verwaltungsvorschriften.
- Stellt die Gemeinde ein Standortkonzept auf, das die Standorte für Altkleidersammelcontainern festlegt, ist das nicht zu beanstanden, solange das Standortkonzept selbst ermessensfehlerfrei zustande gekommen ist. Werden dabei Standorte für Altkleidersammelcontainer begrenzt, um eine das Stadtbild störende Übermöblierung des öffentlichen Verkehrsraums zu verhindern, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden.
- Hingegen ist es fehlerhaft, wenn eine Begrenzung der Containerzahl allein aus Gründen des fehlenden Bedarfs erfolgt. Abfall- und kreislaufwirtschaftsrechtliche Belange weisen für sich genommen keinen Bezug zur Straße auf. Denn aus straßenrechtlicher Perspektive ist es unerheblich, ob und in welchem Umfang ein Altkleidersammelcontainer genutzt wird.
- Stellen unterschiedlicher Nutzer gleichzeitig Anträge auf Sondernutzung für noch nicht vergebene Standorte von Altkleidersammelcontainern, sind diese im Ausgangspunkt gleichberechtigt zu behandeln. Es ist daher fehlerhaft, die Ablehnung der Sondernutzungserlaubnis damit zu begründen, dass der Standort bereits an einen anderen gleichberechtigten Antragsteller vergeben worden ist. Das gilt selbst dann, wenn die erteilte Sondernutzungserlaubnis bestandskräftig geworden ist. Denn solange die Erlaubnisbehörde eine ermessensfehlerfreie Auswahlentscheidung nicht getroffen hat, steht dem unterlegenen Antragsteller hierauf ein Anspruch zu.
Zur Eventualeinberufung der Mitgliederversammlung eines Vereins
OLG Karlsruhe, Beschl. v. 29.4.2024 – 19 W 21/24 (WX)
Amtlicher Leitsatz:
Eine Eventualeinberufung zur Mitgliederversammlung für den Fall fehlender Beschlussfähigkeit ist nur bei entsprechender Satzungsgrundlage zulässig (Anschluss an BayObLG, Beschluss vom 18. September 2002 –3Z BR 148/02 –, juris, Rn. 12; LG Bremen, Beschluss vom 14. Oktober 1998 – 2 T 736/98 –, juris [Ls.]).
Schiedskommission darf dem EuGH keine Fragen stellen
EuGH Urt. v. 7.5.2024 C-115/22
Tenor:
Das von der Unabhängigen Schiedskommission Wien (Österreich) mit Entscheidung vom 21. Dezember 2021 eingereichte Vorabentscheidungsersuchen ist unzulässig.
Redaktionelle Leitsätze:
- Die Unabhängigen Schiedskommission Wien ist kein „Gericht“ iSv Art. 267 AEUV, da die Unabhängigkeit der Richter gewährleistet ist. Nach § 8 Abs. 3 ADBG werden die Mitglieder der USK vom Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport für eine Funktionsperiode von vier Jahren bestellt, wobei Wiederbestellungen zulässig sind. Die Bestellung kann „aus wichtigen Gründen“ vorzeitig widerrufen werden, ohne dass dieser Begriff im nationalen Recht definiert wird. Eine spezielle Vorschrift, die die Unabsetzbarkeit der Richter regelt, gibt es nicht. Außerdem ist für die Entscheidung über den Widerruf der Bestellung der Mitglieder der USK allein der Bundesminister für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport zuständig.
- Dieser Umstand befreit das Schiedsgericht jedoch nicht von der Verpflichtung, beim Erlass ihrer Entscheidungen die Anwendung des Unionsrechts zu gewährleisten und erforderlichenfalls nationale Vorschriften, die im Widerspruch zu unmittelbar anwendbaren Bestimmungen des Unionsrechts stehen, gegebenenfalls unangewendet zu lassen, da diese Verpflichtungen für alle zuständigen nationalen Behörden gelten und nicht nur für Gerichte.
Yoga-Ashram muss Volljuristin gesetzlichen Mindestlohn zahlen
LAG Hamm, Urt. v. 14.5.2024 – 6 Sa 1128/23, 6 Sa 1129/23, 6 Sa 1112/23 (BAG, Urt. v. 25.4.2023 – 9 AZR 254/22, 9 AZR 253/22 [Rechtsprechung Juni 2023]; LAG Hamm, Urt. v. 17.5.2022 – 6 Sa 1248/21, 6 Sa 1249/21; AG Detmold, Urt. v. 15.10.2021 – 3 Ca 696/20, 3 Ca 732/20; AG Detmold Urt. v. 11.10.2023 – 2 Ca 906/22)
Redaktionelle Leitsätze (nach Pressemitteilung des LAG vom 14.05.2024):
- Das Gericht schließt sich dem BAG (Urt. v. 25.4.2023 – 9 AZR 254/22, 9 AZR 253/22 [Rechtsprechung Juni 2023-Arbeitnehmerstatus eines Vereinsmitglieds im Yoga-Ashram]) an.
- Der Beklagte ist in den streitgegenständlichen Zeiträumen weder Religions- noch Weltanschauungsgemeinschaft gewesen.
- Auch die Vereinsautonomie steht den Ansprüchen nicht entgegen.
