Aktuelle Rechtsprechung im Überblick

September 2023

Zusammengestellt von Benjamin Beyer

Keine erweiterte Kürzung bei geringfügiger gewerblicher Nebentätigkeit auf einem Weihnachtsmarkt

BFH, Urt. v. 15.6.2023 – IV R 6/20 (FG Münster, Urt. v. 21.1.2020 – 6 K 1384/18 G F)

Amtliche Leitsätze:

Die von einer grundbesitzverwaltenden Personengesellschaft auf einem Weihnachtsmarkt ausgeübte und alle Tatbestandsmerkmale einer gewerblichen Tätigkeit im Sinne des § 15 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes erfüllende Nebentätigkeit schließt – lässt sich jene nicht unter eine der ausnahmsweise kürzungsunschädlichen Tätigkeiten subsumieren – die erweiterte Kürzung nach § 9 Nr. 1 S. 2 des Gewerbesteuergesetzes (GewStG) aus, auch wenn der Gewinn aus dieser Nebentätigkeit einem gemeinnützigen Verein als Spende zur Förderung steuerbegünstigter Zwecke zugewendet wird.
Unerheblich ist, ob diese originär gewerbliche Nebentätigkeit der Personengesellschaft im Verhältnis zu ihrer grundbesitzverwaltenden Tätigkeit nur äußerst geringfügig ist. Bei Anwendung des § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG ist keine ungeschriebene Geringfügigkeitsgrenze zu beachten.

Rechtsmissbräuchliche Geltendmachung einer Vertragsstrafe durch Wettbewerbsverband

OLG Köln, Urt. v. 21.6.2023 – 6 U 147/22 (LG Bonn, Urt. v. 7.10.2022 – 14 O 55/20)

Redaktionelle Leitsätze:

Der Einwand des Rechtsmissbrauchs ist nicht nur im Rahmen eines Unterlassungsanspruchs aus § 8 Abs. 1 UWG, sondern auch bei Geltendmachung einer Vertragsstrafe nach § 242 BGB von Amts wegen zu beachten und die Frage des Rechtsmissbrauchs im Wege des Freibeweises zu würdigen. Indizien, die für sich genommen noch nicht geeignet sind, missbräuchliches Verhalten zu demonstrieren, können in einer Gesamtabwägung dennoch zu Annahme eines missbräuchlichen Verhaltens führen.
Strukturen, die darauf ausgerichtet sind, aktive Mitgliedschaften zu begrenzen oder gar zu verhindern, gleichzeitig durch eine breite passive Mitgliederschaft eine weite Klagebefugnis zu schaffen, sowie auffällig hohe Vergütungen an nur wenige Beteiligte, die Verschonung der eigenen Mitgliedern bei der Verfolgung von Wettbewerbsverstößen, weit gefasste Unterlassungserklärungen sowie die Nichtverfolgung von abgemahnten Verstößen können im Einzelfall die Einordnung des Verhaltens eines Verbands als rechtsmissbräuchlich rechtfertigen.

Pflichtwidrige Vereinsmaßnahme und gerichtliche Überprüfbarkeit von vereinsrechtlichen Disziplinarmaßnahmen

OLG Hamm, Urt. v. 10.7.2023 – 8 U 95/22 (LG Dortmund, Urt. v. 5.7.2022 – 3 O 490/20)

Amtliche Leitsätze:

Vereinsrechtliche Disziplinarmaßnahmen unterliegen einer beschränkten Kontrolle durch die staatlichen Gerichte, die sich auf die Prüfung erstreckt, ob die verhängte Maßnahme eine Stütze im Gesetz und im vereinsinternen Regelwerk hat, ob das satzungsmäßig vorgeschriebene Verfahren beachtet, sonst keine Gesetzes- oder Satzungsverstöße vorgekommen sind, ob elementare rechtsstaatliche Normen eingehalten wurden und ob die zugrundeliegenden Tatsachenermittlungen fehlerfrei sind.
Bei sozial mächtigen Verbänden ist darüber hinaus auf die inhaltliche Angemessenheit und Bestimmtheit der angewandten Regelungen, die einen Ausgleich zwischen den berechtigten Interessen des Verbandes und den schutzwürdigen Interessen derjenigen, die der Verbandsgewalt unterworfen sind, herstellen, zu beurteilen. Insbesondere darf durch die Anwendung von Verbandsnormen keine willkürliche oder unbillige, den Grundsätzen von Treu und Glauben widersprechende Behandlung festgestellt werden.
Eine Wiedereröffnung des Verfahrens nach § 156 ZPO darf die Präklusionsvorschrift des § 296 ZPO nicht obsolet machen.

Rücknahme einer Ersatzschulgenehmigung

VG Düsseldorf, Beschl. v. 11.7.2023 – 18 L 1545/23

Redaktioneller Leitsatz:

Ersatzschulen müssen mit öffentlichen Schulen gleichwertig iSd. § 101 Abs. 1 Satz 2 SchulG NRW sein. Der Nachweis einer solchen Gleichwertigkeit im Bereich der Lehrkräfte setzt nicht nur die Zulassung zum Feststellungsverfahren im Rahmen des § 7 ESchVO NRW voraus, sondern zudem auch den erfolgreichen Abschluss dieses Verfahrens. Lehrkräfte mit einer befristeten Unterrichtsgenehmigung nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 ESchVO NRW erfüllen diese Maßgaben nicht. Eine Schule, die danach nicht mit ausreichend Lehrkräfte für die gleichwertige Unterrichtung der angebotenen Fächer ausgestattet ist, kann sich nicht mit dem Vorbringen eines allgemeinen Lehrermangels verteidigen, weil das Erfordernis der Gleichwertigkeit nicht verschuldensgebunden ist.

Steuerfreie Wertverschiebungen bei Schenkung

FG Hamburg, Urt. v. 11.7.2023 – 3 K 188/21

Amtlicher Leitsatz:

Die disquotale Einlage eines Kommanditaktionärs gilt nicht nach § 7 Abs. 8 ErbStG als Schenkung zu Gunsten des nicht am Grundkapital beteiligten persönlich haftenden Gesellschafters einer KGaA. Dieser hält keinen Anteil an einer Kapitalgesellschaft im Sinne der Vorschrift, dessen Wert erhöht worden ist. Erhöht sich der Wert der Beteiligung eines phG einer KGaA, der nicht am Grundkapital der Gesellschaft beteiligt ist, dadurch, dass ein anderer Gesellschafter Vermögen in die KGaA einbringt, ohne eine dessen Wert entsprechende Gegenleistung zu erhalten, liegt keine freigebige Zuwendung des einbringenden Gesellschafters an den persönlich haftenden Gesellschafter vor. Wegen der rechtlichen Eigenständigkeit des Gesellschaftsvermögens der KGaA fehlt es unabhängig von der konkreten Ausgestaltung der Satzung an der Vermögensverschiebung zwischen den Gesellschaftern.

Verfahren nach § 7a SGB IV sowie Betriebsprüfungen nach §§ 28p und 28q SGB IV (BA)

LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 13.7.2023 – L 3 BA 26/21 (SG Magdeburg, Urt. v. 5.7.2021 – S 31 BA 17/18)

Amtlicher Leitsatz:

Zu den Aufzeichnungspflichten eines als gemeinnützig anerkannten Vereins im Rahmen der Arbeitgeberpflichten und zur Steuervergünstigung nach § 3 Nr. 26 EStG.

Redaktionelle Leitsätze:

Allein dem Arbeitgeber obliegt eine ordnungsgemäße Erfassung der Tätigkeit. Nicht vollständig aufzuschlüsselnde Abrechnungen gehen daher zu dessen Lasten.
Honorarvereinbarungen, die schwerpunktmäßig „Unterstützende Tätigkeit bzw. Helfertätigkeit im Sicherheitstraining“ zum Gegenstand haben, schließen bei einem einheitlichen Vertragsverständnis eine selbstständige Tätigkeit aus.
Die Leistungserbringung in einer staatlichen oder unter staatlicher Aufsicht stehenden Einrichtung mit (Klein-)Kindern zu üblichen Betreuungs- bzw. Unterrichtszeiten, die einen Bezug zu sensiblen Themen wie Gewalt und Missbrauch aufweisen, stellt ein starkes Indiz für eine Eingliederung in den Betrieb dar, weil der Leistungserbringer üblicherweise der Weisungsbefugnis und dem Hausrecht der Einrichtung unterworfen ist.
Die Steuer- und damit Beitragsfreiheit nach § 3 Nr. 26 S.1 EStG setzt voraus, dass die zu beurteilende Tätigkeit nicht (ausschließlich) für Dritte, sondern für die Mitglieder und Verbundenen des gemeinnützigen Vereins erbracht wird, weil die Privilegierung sonst zu einer Marktverzerrung führen würde.

Lost-Art-Datenbank muss Eintrag zu möglichem NS-Raubgut nicht löschen

BGH, Urt. v. 21.7.2023 – V ZR 112/22 (OLG Naumburg, Urt. v. 24.5.2022 – 1 U 292/19; LG Magdeburg, Urt. v. 27.11.2019 – 2 O 599/18)

Amtliche Leitsätze:

Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte wird unter den Voraussetzungen des Art. 26 EuGVVO auch dann begründet, wenn der sich rügelos einlassende Beklagte seinen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats der Europäischen Union hat.
Die auf wahren Tatsachen beruhende Suchmeldung eines Kulturgutes auf der Internetseite der Lost Art-Datenbank stellt keine Eigentumsbeeinträchtigung iSv. § 1004 Abs. 1 BGB dar und begründet daher keinen auf Beantragung der Löschung gerichteten Anspruch des gegenwärtigen Eigentümers gegen den Veranlasser der Meldung.

Grundrechtsbindung eines privaten Vereines

VG Berlin, Urt. v. 7.6.2023 – VG 29 K 221/22

Redaktioneller Leitsatz:

Ein Journalist hat zwar keinen Anspruch auf Mitgliedschaft, aber auf Behandlung wie ein Mitglied gemäß Art. 5 Abs. 1 HS 2 GG iVm. Art. 3 Abs. 1 GG gegen einen privatrechtlichen Verein, der von der Bundesregierung und den Ministerien regelmäßig für deren Öffentlichkeitsarbeit herangezogen wird, da der Verein hierdurch punktuell grundrechtsverpflichtet ist.

Haftung von Vorständen und Geschäftsführern für Kartell-Geldbußen

OLG Düsseldorf, Urt. v. 27.7.2023 – 6 U 1/22 (Kart)

Amtliche Leitsätze:

Vorstand und Geschäftsführer haften nicht persönlich für Kartell-Geldbußen eines Unternehmens.
Die Verjährung von Regressansprüche gegen einen Geschäftsführer oder Vorstand wegen deren Beteiligung an einem kartellrechtswidrigen Informationsaustausch beginnt im Falle einer Grundabsprache mit dem letzten zu einer Bewertungseinheit zusammengefassten Teilakt („Einzeltat“).

Ordnungsgeld gegen DFB wegen Verstoßes gegen Verfügungsurteil

LG Dortmund (IV. Kammer für Handelssachen), Beschl. v. 9.8.2023 – 8 O 1/23 (Kart)

Redaktionelle Leitsätze:

Bei einer Handlung, die einen fortdauernden Störungszustand geschaffen hat, ist der die Handlung verbietende Unterlassungstitel mangels abweichender Anhaltspunkte regelmäßig dahin auszulegen, dass er außer zur Unterlassung derartiger Handlungen auch zur Vornahme möglicher und zumutbarer Handlungen zur Beseitigung des Störungszustands verpflichtet.
Erlässt ein Schuldner Verbandsrichtlinien (N1FAR), die nach einem Urteil teilweise keine Wirkung entfalten, verletzt der Schuldner seine Pflichten aus dem Unterlassungstitel auch dann, wenn er zwar auf seiner Internetseite auf das Urteil hinweist, wie auch darauf, dass die Regelungen nicht anzuwenden sind, die nicht anzuwendenden Reglungen jedoch nicht konkret genug benennt, sodass dem Leser selbst überlassen bleibt, die Bewertung von Inhalt, Reichweite und Konsequenzen des Urteils vorzunehmen. Dies gilt umso mehr, als dass die sodann von dem Schuldner aufgeführten Hinweise auf die Geltung der Richtlinie keine Einschränkungen enthalten und hierdurch in der Gesamtschau der Eindruck erweckt, dass die Bestimmungen Geltung beanspruchen.
Ebenso verletzt der Schuldner seine Verpflichtungen, wenn er die Reichweite des Urteils mit Einschränkungen darstellt, die sich weder aus dem Tenor, noch aus der Rechtsordnung ergeben.

LG Dortmund (VIII. Zivilkammer), Beschl. v. 17.8.2023 – 8 O 1/23 (Kart)

Redaktionelle Leitsätze:

Bei der Reichweite von Unterlassungsansprüchen aufgrund kartellrechtswidriger Verbandsbestimmungen, die auf den Binnenmarkt beschränkt sind, ist nach dem sog. Auswirkungsprinzips einzig entscheidend der betroffene Marktort. Auf den (Wohn-)Sitz der betroffenen Marktteilnehmer kommt es hingegen nicht an.
Der Schuldner der eine Störung schafft, indem er kartellrechtswidrige Verbandsbestimmungen angewendet oder angewendet werden lassen bzw. durchgesetzt oder durchgesetzt werden lassen hat, ist durch das Unterlassungsurteil verpflichtet geeignete Maßnahmen wie etwa Informationshandlungen zu ergreifen, die die Störung beseitigen. Er darf sich dabei nicht auf wie auch immer bestehende mediale Berichterstattung verlassen.

Keine Gewerbesteuerbefreiung für die Veräußerung von Lehrinstituten

FG Düsseldorf, Urt. v. 10.8.2023 – 9 K 349/22 G

Redaktionelle Leitsätze:

Private Schulen und andere allgemeinbildende oder berufsbildende Einrichtungen können nach § 3 Nr. 13 GewStG idF. des JStG 2019 gewerbesteuerbefreit sein, wenn die erbrachte Leistung den Schul- und Bildungszweck in der Weise unmittelbar erfüllt, dass keine weitere Leistung dazwischengeschaltet ist. Ein bloßes Ermöglichen von Unterricht, selbst wenn dies unerlässlich sein sollte, ist keine solche dem Schul- und Bildungszweck unmittelbar erfüllende Leistung.
Die Veräußerung eines Lehrinstituts ist danach keine solche unmittelbare Leistung, selbst wenn die Unterrichtsleistung ohne die Veräußerung eingestellt worden wäre, da diese allenfalls einen Unterricht ermöglicht.
Art. 132 Abs. 1 i) MwStSystRL kann dabei weder direkt noch indirekt angewendet werden.

Vereinsrechtliches Verbot von Ansaar International e. V. bestätigt

BVerwG, Urt. v. 21.8.2023 – 6 A 3.21

Redaktioneller Leitsatz (nach Pressemitteilung):

Auch wenn der Kläger zahlreiche humanitäre Projekte durchführt, die nicht im Zusammenhang mit der Verwirklichung von Verbotsgründen stehen, lassen seine Unterstützung terroristischer Vereinigungen sowie seine Missionierungstätigkeit den Schluss zu, dass er maßgeblich auf diese ausgerichtet ist und ihm sein Gepräge gibt.

Zuschüsse an Ersatzschulen zur Glaubhaftmachung drohender Zahlungsunfähigkeit und deren erforderlicher Abwendung als Anordnungsgrund im Eilverfahren

OVG Schleswig, Beschl. v. 23.8.2023 – 3 MB 9/23

Redaktioneller Leitsatz:

Eine drohende Insolvenz begründet keinen Anspruch einer Ersatzschule auf Zuschusszahlung im Eilrechtsschutz, da ein durch die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens aufgelöster Verein bis zum Abschluss des Insolvenzverfahrens auch prozessual bestehen bleibt und als sog. Insolvenzverein weiterhin rechtsfähig und durch seine Organe handlungsfähig ist.